Nachricht 01. Mai 2016
Kunst im Gottesdienst
Die Arbeit beginnt: Hennings Diers an seinen Staffeleien in der Dorfkirche. Quelle: Markus Holz

Die Teilung der Kunst

HAZ Online am 01.05.2016 (von Markus Holz)

Altgarbsen. Es ist alles fast so wie immer: Ein 9.30-Uhr-Gottesdienst in der kleinen Dorfkirche. Christoph Wenzel spielt Orgel. Pastor Peter-Christian Schmidt leitet. Begrüßung, Epistellesung, Lieder, Predigt, Abendmahl, Abkündigung, Segen. Aber da ist noch einer. Einer der nicht spricht. Der so tut, als wäre er allein in der Kirche. Der malt. Zwei Staffeleien im Kirchenraum, zwei oben auf der Empore.
Henning Diers "sitzt" in seinem Tunnel. Er nimmt alles um sich herum wahr, aber er wirkt wie abwesend, nur fixiert auf seine Farben, die Pinsel, Schwämme, Lappen. Mal kniet er rechts, mal links vor den Leinwänden. Dann geht er eiligen Schrittes nach oben, als wollte er eine Idee, einen Gedanken nicht verlieren. Er setzt den Pinsel an und malt oben weiter. Manchmal sind es nur drei, vier Striche, bevor Diers wieder die Leinwand wechselt.
Die Besucher erleben das Entstehen. Niemand erkennt, ob es am Ende nur ein Spiel der Farben ist oder ob das alles etwas darstellen soll. Aber mit jedem Strich an den Bildern wächst die Spannung. Und weil Diers alles aufnimmt, was um ihn herum passiert, ist jeder Ton, jedes Wort, jeder Gast auch ein Teil der Bilder.
Schmidt predigt übers Beten. Er spricht davon, dass jedem dieser Weg zu Gott offen steht. Dass das Gebet ein geschützter Raum ist, ein Tisch, auf den alles gelegt werden kann, außer vielleicht der  Wunsch nach einem Lotto-Gewinn. "Wir dürfen nicht erwarten, dass uns jede Bitte erfüllt wird. Aber wir dürfen über alles sprechen. Wir sind nicht allein. Das zu wissen, ist für mich die größte Wirkung des Gebetes", sagt Schmidt. Amen.
Diers mal keine betenden Hände, keinen Gott, keinen Lottoschein. Er malt einen Raum mit Fenstern, mit Ein- und Ausgängen, Licht und Schatten. Da ist der geschützte Raum, von dem Schmidt gesprochen hat. Das Ganze wird erst erkennbar, als Diers die vier Leinwände zusammenstellen lässt. Applaus für den Künstler. Viele zeigen sich beeindruckt von der Strahlkraft und von der Schnelligkeit, mit der Diers malt. Und viele wirken erleichtert, als die vier Teile zu einem Ganzen werden.
"Wir werden das Bild jetzt zerschneiden und jedem ein Stück mit nach Hause geben." Stille. Macht Schmidt einen Witz, wie am Beginn seiner Predigt? Macht er nicht. Diers setzt das Cuttermesser an und schneidet das Bild in zwei Dutzend Streifen. "Nein." "Bitte nicht." Das Nein wiederholt sich, wird lauter, lässt Entsetzen mitschwingen. Einer fragt fast böse: "Herr Diers, wie fühlen Sie sich?" Diers lässt das Messer keinen Moment ruhen, dreht sich halb um und sagt lächelnd: "Mir geht es gut."
"Wir machen uns so viele Bilder", sagt Diers hinterher. Fotografien, Zeichnungen, Fotobücher, Andenken an irgendetwas. "Aber das Entscheidende ist doch, was mit uns in den Fotografier-Momenten passiert und was in uns zurückbleibt, nicht die Bilder." Das macht nachdenklich.
Von diesem Gottesdienst wird einigen Besuchern vor allem der Schnitt des Messers in die Kunst in Erinnerung bleiben, das Werden und Zerstören eines Bildes, von dem jeder ein Stück zu Hause hat. Das Ganze wird nie mehr zu sehen sein, außer in der Erinnerung. Das ist es, was Diers an diesem Sonntag erlebbar machen wollte. Eigentlich hätte niemand ein Foto vom Ganzen machen dürfen...
Noch mehr Diers
Henning Diers hat am Sonntag nach dem Gottesdienst seinen Bilderzyklus zur Schöpfungsgeschichte im Gemeindehaus, Calenberger Straße 19, eröffnet. Er ist während der Öffnungszeiten zu besuchen und wird Thema in mehreren Gesprächsrunden sein. Derzeit arbeitet der Nienburger Maler an Bildern zu Luthers Thesen. 95 Leinwände. Jede Woche ein Bild. Ein sperriges Thema, sagt Diers. Im Oktober 2016 beginnt das Jubiläumsjahr "500 Jahre Reformation

Peter-Christian Schmidt
Pastor Peter-Christian Schmidt